Jänner 2026
Der Baum des Lebens
Gemälde von Loukas Seroglou

(c) Loukas Seroglou
Die Geschichte ist eine Abfolge von zeitlichen Episoden und gleicht einer Uhr, deren Zeiger sich
unaufhörlich im Kreis drehen, aber an immer neuen Tagen. Die Jahreszeiten wiederholen sich ewig, aber
immer mit einem neuen Anfang und einem neuen Ende und immer in einem geschlossenen Kreis. Nicht
jedes Jahr ist der Winter gleich hart und nicht immer zur gleichen Zeit starten die Zugvögel ihren
Winterflug, auch wenn sie die gleichen Orte aufsuchen. Die Frühlingsblumen sprießen nicht immer zur
gleichen Zeit aus dem Boden und die Bienen, die täglich auf der Suche nach Nahrung ausfliegen, suchen
nicht immer die gleichen Blumen auf. Nicht immer und nicht überall auf der Erde scheint im Sommer die
Sonne gleich stark, und im Herbst fallen nicht alle Blätter gleichzeitig von den Bäumen. So entsteht der
Eindruck von Entwicklung. Aber eine Entwicklung innerhalb eines Kreises ist Wiederholung, denn
Entwicklung kann nur auf einer geraden Bewegung stattfinden, wie der Pfeil, wenn er den Bogen verlassen
hat.
Mit jedem Schlag bewegen sich die Zeiger, immer im Inneren der Uhr, und mit jedem Schlag vergeht das
Leben der Menschen für immer. Aber kann das Geschaffene wirklich vergehen, oder kehrt alles mit anderen Gesichtern, anderen Kleidern und in einer anderen Umgebung an den Anfang des Kreises zurück, bevor es wieder zum Leben erweckt wird?
Die Geschichte eines jeden Menschen ist schon geschrieben, bevor wir geboren werden und bevor Gott die Welt erschaffen hat. Niemand, der geboren wird, kennt sein Schicksal, niemand weiß, dass er seine eigene Lebensgeschichte liest, und niemand weiß, wie viele Fortsetzungen seines Lebens er gerade liest. Niemand weiß, dass er mit seinen gegenwärtigen Handlungen die Fortsetzung seines Lebens für die Zukunft schreibt.
Wir erleben also eine Geschichte, die vor Jahrtausenden begann und Jahrtausende dauern wird, weil wir
nicht in der Gegenwart leben. Wir lesen die Geschichte unserer Vergangenheit, erleben sie in einer
Scheingegenwart und schreiben währenddessen das Buch unserer Zukunft… Wir glauben, in der Gegenwart zu leben, aber in Wirklichkeit leben wir eine Projektion der Vergangenheit; die Gegenwart ist kein Zeitbegriff, sondern eine Tür, die uns aus der Zeit herausführt, der Ausgang aus dem (Schein-)Leben in das Leben des Seins.
Jeder, der das Buch seines Lebens liest, kennt nur die bereits gelesenen Seiten, ohne zu wissen, was auf den nächsten Zeilen steht, ohne zu wissen, dass wir das Buch lesen, das wir selbst in der Vergangenheit
geschrieben, aber völlig vergessen haben.
Loukas Seroglou:
Ich wurde 1945 in Athen geboren und kam 1960 mit einem Stipendium nach Wien, um Barockkunsthandwerk und Restaurierung zu erlernen. Später studierte ich an der Wiener Kunstschule Malerei, Grafik, Raumgestaltung und Innenarchitektur. Von 1970 bis 1993 arbeitete ich als Architekt in verschiedenen Architekturbüros in Wien und nahm an zahlreichen Wettbewerben teil: Technische Universität Wien, Franz Josef Bahnhof, AKH, Nationalbibliothek, Hauptpost, „Recreation Center“ Riat und viele mehr. Meine Liebe zur Kunst und Geschichte, vor allem zu den Hintergründen der Weltgeschichte, hat mich dazu bewogen, geprüfter Fremdenführer für Österreich zu werden.
Seit meiner Kindheit beschäftige ich mich mit Malen und Schreiben. Bis heute bin ich als Kunst- und
Ikonenmaler tätig, mit zahlreichen Ausstellungen im In- und Ausland; ein Großgemälde von mir ist im Besitz des ehemaligen Bundespräsidenten Dr.R.Kirschläger. Ich habe zahlreiche Manuskripte über Philosophie und Metaphysik, sowie Gedichte, Balladen und Kurzgeschichten verfasst (derzeit arbeite ich an einem -bisher 450 Seiten umfassenden- Roman) über zwei Nächte und einen Tag aus dem Leben Buddhas) und halte religiös/esoterisch/philosophische Vorträge. Durch meine Wander- und Bergsteigererfahrungen, meine zahlreichen Reisen durch den gesamten indischen Subkontinent und die Himalaya-Länder und meine persönlichen Begegnungen mit buddhistischen Mönchen und Zen Meistern, indischen Weisen und Yogis sowie mit Asketen auf dem Berg Athos versuche ein Leben lang, Antworten auf die Frage nach dem Sinn des Lebens zu finden. Dies ist auch das Hauptthema meiner Schriften und meiner Malerei